Es ist gar nicht einmal so lange her, dass ich mir – ich glaube, es war im Zusammenhang mit der grünen Dauerkampagne gegen die Pflanzengentechnik und ihre Erfolge bei den Regierenden – wieder einmal die Haare raufte und mir sehnlichst die Herrschaft von wirklichen Experten herbeisehnte, wie der gute alte Platon („Der Staat“) sie schon gefordert hatte und die dem Spuk der Ideologen ein Ende bereiten würde!
Nun, in diesen Zeiten, da wir mittlerweile seit ca. einem Dreivierteljahr mal mehr, mal weniger im Ausnahmezustand (sprich: einer der verschiedenen Abstufungen des sog. Corona-Lockdowns) leben, komme ich mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass eine Expertenherrschaft keineswegs der Königsweg wäre…

Bereits vor drei Jahren veröffentlichte das Magazin „NovoArgumente“ auf seiner Website anlässlich des überraschenden Brexit-Votums der Briten den Artikel „Demokratie statt Expertenherrschaft“ von Mick Hume, in dem es heißt:
„In der Debatte um die Rolle von Experten wird ständig technisches Fachwissen mit politischem Urteilsvermögen verwechselt. […] Normalerweise gehen wir mit unserem kaputten Auto zu einem qualifizierten technischen Experten, dasselbe gilt, wie schon Platon wusste, für Schiffsbau oder bautechnische Projekte. Daraus folgt jedoch nicht, dass ein Automechaniker oder Maschinenbauingenieur vor einer politischen Wahl Experten für Wirtschaft oder Politikwissenschaften aufsuchen muss. Deren Fachwissen ist ohnehin viel fragwürdiger als jenes von technischen Experten. Selbst der Vater der Verhaltensökonomie Daniel Kahneman, dessen Forschung oft als Legitimation für antidemokratische Ideen dient, gibt zu, ‚dass Experten bei langfristigen politischen Vorhersagen keine höhere Trefferquote haben als ein würfelnder Affe‘.“
Und hinsichtlich der Entscheidung der Bundesregierung und aller Ministerpräsidenten zum zweiten harten Lockdown ab Mitte Dezember, der maßgeblich durch die Leopoldina („Deutsche Akademie der Naturforscher“) wissenschaftlich flankiert wurde, schreibt deren kritisches Mitglied Prof. Michael Esfeld:
„Wissenschaft dient der Aufklärung. Aber es kann auch sein, dass Aufklärung gegen Erkenntnisansprüche in der Wissenschaft und deren politischen Gebrauch geboten ist. Die Aufklärung hat seit dem 18. Jahrhundert zwei Gesichter. Das eine Gesicht ist die Befreiung des Menschen, ausgedrückt zum Beispiel in Immanuel Kants Definition der Aufklärung als ‚Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit‘. Das andere Gesicht ist der Szientismus mit der Idee, dass es ein naturwissenschaftliches Wissen gibt, das auch den Menschen und alle Aspekte unserer Existenz umfasst, und dass sich die Gesellschaft gemäß diesem Wissen planen und gestalten lässt.
Die Spannung zwischen diesen beiden Polen ist offensichtlich: Das Anliegen der von Kant vertretenen Richtung ist es, dass Personen ihre Freiheit gebrauchen, um ihre eigenen, überlegten Entscheidungen zu treffen. Das setzt voraus, dass es keine uns verfügbaren Erkenntnisse gibt – weder aus Naturwissenschaft noch aus Philosophie, Religion oder anderen Quellen –, welche die richtige Entscheidung so vorgeben oder gar erzwingen können, dass sie alternativlos erscheint. Der Szientismus zielt hingegen darauf ab, dass naturwissenschaftliches Wissen die angemessenen Entscheidungen sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene vorgeben kann.
Letzteres ist das, was wir in der Corona-Krise erleben: Eine Allianz aus Wissenschaft und Politik erhebt den Anspruch, über Erkenntnisse zu verfügen, wie man die Gesellschaft und ihre Entwicklung in dieser Situation planen soll – Erkenntnisse, die es rechtfertigen, sich über die Freiheit der einzelnen Menschen hinwegzusetzen, in diesem Fall allerdings nicht, um ein angebliches gemeinschaftliches Gut zu erreichen, sondern um ein angeblich drohendes Übel abzuwenden.“
Dass die Bundes- und Landesregierung(en) und die ihnen nachgeordneten Institutionen bis hinunter zu den Mitarbeitern der einzelnen Gesundheitsämter immer genau die richtige Entscheidung treffen, gerade jetzt, wo wir doch täglich neue Horrorzahlen über „Neuinfektionen“ (korrekt: positiv auf Covid-19 Getestete) und im Zusammenhang mit dem Virus Verstorbene (freilich ohne den immens hohen Anteil von Alten- und Pflegeheimbewohnern daran zu erwähnen, deren Schutz anscheinend noch immer bisweilen recht stiefmütterlich betrieben wird) erfahren, kann wohl mit Fug und Recht zu den großen Mythen gezählt werden, die im obrigkeitstreuen Deutschland nur allzu gerne geglaubt werden. Oder in den Worten des Bildungsphilosophen Matthias Burchardt:
„Wir sind Insassen von Lebensmodellen und Vollzugsmodellen, die sich in den Jahren sedimentiert haben in unserem Denken, die wir erstmal einer Prüfung aussetzen müssen, damit das, wozu wir uns politisch bemüßigt fühlen, auch zu einem Ziel führt.“