Jeder kennt ihn: den in sich versponnenen, meist älteren Sonderling, der – häufig auch noch nachlässig gekleidet – unverständliches Zeug vor sich hin brabbelt, auf jeden Fall aber für seine verschrobenen Ansichten berühmt, teils berüchtigt ist.

Aus der Binnenperspektive des Betreffenden verhält es sich freilich genau umgekehrt: Für ihn sind alle anderen kulturlose Banausen ohne Empathie, fern jedes tieferen Verständnisses für seine Erleuchtungen!
Seit dem Vormarsch identitätspolitischer (woker) Bekenntnisrituale in Politik und Gesellschaft drängt sich dem um Objektivität bemühten Betrachter mittlerweile der Eindruck auf, beim Gebaren einheimischer Polit-Eliten handele es sich um eben jenen sonderlichen Kauz, der seine Weltsicht zum Maß aller Dinge erklärt, ohne sich auch einmal mit einem gerüttelt‘ Maß Selbstdistanz kritisch von außen auf Realitätstauglichkeit abzuklopfen.
So kommentiert der Deutschland-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Alexander Kissler, das gesellschaftliche Umbauvorhaben der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP wie folgt:
Bis Ende [des] Jahr[es] soll ein gemeinsam mit dem Familienministerium erarbeiteter Gesetzentwurf vorliegen. Initiativen und Vereine, die bisher auf kurzfristige Projektförderung angewiesen waren, dürfen sich dann auf regelmässige Zahlungen aus dem Staatshaushalt freuen.
Deutschland, heisst es im Diskussionspapier der beiden Ministerien [Familie und Inneres, M. Haß], brauche „demokratisches Engagement sowie überzeugte Demokratinnen und Demokraten“. Darum sollen „Projekte im Bereich der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention verlässlich unterstützt werden“. Familienministerin Lisa Paus von den Grünen präzisiert: Die „engagierte Zivilgesellschaft“ verdiene jede staatliche Unterstützung.
Ist bereits die Zivilgesellschaft ein seltsamer begrifflicher Bastard von Staat und Gesellschaft, die sich in fruchtbarer Spannung gegenüberstehen sollten, so ist die „engagierte Zivilgesellschaft“ vollends ein hölzernes Eisen. Gemeint sind gesellschaftliche Akteure, die im Sinne der derzeit regierenden Parteien agieren und dafür vom Staat bezuschusst werden. Der Staat will sich eine Gesellschaft nach seinem Bilde formen. Letztlich wird der Bürger unter Vorbehalt gestellt. Dauerhaft förderungswürdig sind in erster Linie jene identitätspolitischen Player, die Kurse anbieten und Seminare zum „Kampf gegen rechts“, gegen den Klimawandel, für Integration und für „Vielfalt“. Eine Extremismusformel, mit der die Initiativen jeder extremistischen Versuchung abschwören müssten, lehnen Paus und Faeser ausdrücklich ab.
Antifeministen und andere Menschenfeinde
Die „engagierte Zivilgesellschaft“ soll sich gegen Rassisten und Extremisten jeglicher Couleur wenden, wenngleich deren rechtsextreme Ausprägung sehr oft erwähnt wird und die islamistische Form fast nie.
Befremdlich stimmt auch, dass Faeser „Antisemiten und Antifeministen“ in einem Atemzug nennt. Offenbar hält die SPD-Politikerin den Hass auf Juden und die Ablehnung des Feminismus unter „überzeugten Demokratinnen und Demokraten“ für gleichermassen verabscheuungswürdig.
Um beides gar nicht erst entstehen zu lassen, plädiert Faeser für frühkindliche Demokratieerziehung. Der Kindergarten soll zum politischen Raum werden, in dem die Jüngsten spielerisch den „Kampf gegen Rechtsextremismus“ erlernen. Nimmt man weitere Einlassungen Faesers, die auch Heimatministerin ist, für bare Münze, muss in der Kita ebenfalls der Kampf gegen den tradierten Heimatbegriff ausgefochten werden.
Heimat, sagt die Ministerin, „sind alle Menschen, egal, wo sie herkommen“. Deshalb „müssen wir den Begriff Heimat positiv umdeuten und so definieren, dass er offen und vielfältig ist. Und dass er ausdrückt, dass Menschen selbst entscheiden können, wie sie leben, glauben und lieben wollen.“ Wir lernen: Die Heimatministerin hält Heimat für einen negativen Begriff, der staatlicherseits umgedeutet werden muss. Sie verlangt dem Kollektiv eine Arbeit am Begriff ab, um anschliessend generös Individualität zuzuteilen.
Schon Vierjährige sollen die richtige Haltung zeigen
Der gesellschaftliche Umbau der „Ampel“ hat zwei Ziele: Das Leben soll erstens zerfallen in eine Abfolge richtiger Entscheidungen, vom Kindergarten bis zum Sterbebett; so entsteht ein langer Fluss der Bekenntnisse und damit der ideologischen Normenkontrolle.
Zweitens bestimmt nicht mehr das Sein das Bewusstsein, sondern das Tun das Dasein. Wer nicht permanent mitmacht und mitzieht, der hat keinen Anteil an der Gemeinschaft der Engagierten. „Unser Zusammenhalt“ (Paus) gilt den Unpolitischen nicht, ja nicht einmal denen, die Heimat bereits heute für einen positiven Begriff halten.
Schon Vierjährige sollen im Kindergarten die richtigen von den falschen Haltungen unterscheiden lernen. Dazu empfiehlt das vom Familienministerium betriebene „Regenbogenportal“ ein Lesebuch mit der Geschichte einer männlichen Meerjungfrau. „Individualität, Diversität und Vielfalt“ sollen die Kleinen so schätzen lernen. Die Kindheit darf keine Insel der Zweckfreiheit mehr sein und somit keine Kindheit in bisherigem Sinn. Politik überwölbt jede Lebensstufe.
Mit 14 Jahren, weiterhin also im minderjährigen Alter, soll dann jeder Jugendliche auf dem Standesamt frei entscheiden dürfen, welches Geschlecht er habe. So steht es in zwei im Sommer 2020 gescheiterten Gesetzentwürfen von Grünen und FDP, die nun in das von der „Ampel“-Mehrheit noch vor der parlamentarischen Sommerpause angestrebte „Selbstbestimmungsgesetz“ einfliessen. Abermals feiert der Wille zur Willkür Triumphe, selbst um den Preis, ins Absurde abzubiegen. Diese Meriten erwarb sich der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, der Grünen-Politiker Sven Lehmann, als er kürzlich behauptete, die geschlechtliche Identität könne prinzipiell nicht von aussen begutachtet werden, auch nicht von Ärzten.
Was sich ganz konkret hinter dem zu fördernden Demokratieverständnis herrschender Polit-Eliten verbirgt, hat bereits vor gut einem Jahr die Tageszeitung „Die Welt“ aufgedeckt: Werden doch im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ auch gewaltaffine und offensichtlich dem islamistischen Milieu zugehörige Institutionen mit reichlich Fördermitteln bedacht.
Statt monstranzenartig vor sich her getragener „Vielfalt“ also wohl eher „heilige Einfalt“!
So erweist sich der regierungsamtlich verordnete „Kampf gegen Rechts“ und „für Toleranz und Vielfalt“ in Wahrheit immer mehr zum Religionsersatz linksgrüner Mittelschichtsmilieus, denen die penetrante Zur-Schau-Stellung der eigenen (woken) Haltung über alles zu gehen scheint.
Kritiker dieser „identitätslinken Läuterungsagenda“ (Sandra Kostner) werden im schroffen Kontrast zur reklamierten „Toleranz“ dafür häufig weggebissen („gecancelt“), ergo aus dem öffentlichen Diskurs gedrängt. Höchste Zeit, den Neopuritanern im Gewande der Bessermenschen in den selbstgerecht-drohend erhobenen Arm zu fallen!