Dschihadismus im Christentum: eine neue Sicht auf Kolumbus und das Osmanische Reich

Regelmäßige Leser meines Blogs dürften sicher nicht gerade selten das Gefühl erhalten, dass der (gegenwärtige radikale) Islam nicht unbedingt meine Lieblingsreligion sei. Da ist sicher mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit dran, wenngleich es selbstverständlich für mich als eingefleischten Religionskritiker so etwas wie eine bevorzugte Religion überhaupt nicht geben kann!

Wie dem auch sei, spätestens mit dem barbarischen Massaker der Hamas vom 7. Oktober dieses Jahres und den darauf einsetzenden weltweiten Jubelstürmen mehr oder weniger offen antisemitischer Muslime (und Linksradikaler!) ist vor aller Welt Augen mehr als sichtbar zu Tage getreten, was für ein immenses Gewaltproblem die Religion Mohammeds in ihrer Mitte mit sich herumschleppt.

Als geschichtsaffiner Mensch genügt mir jedoch kein alleiniger Blick in die Gegenwart, zumal die Vergangenheit und deren Interpretation reichlich Stoff für verblüffende Erkenntnisse bietet.

Eine solche (Dauer-)Verblüffung stellt sich mir aktuell immer wieder während der Lektüre des ausgezeichneten Werkes „Gottes Schatten. Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt“ aus der Feder des US-Historikers Alan Mikhail ein.

Der Autor widmet sich darin der expansionsfreudigen Phase des Osmanischen Reichs um das Jahr 1500 unter Sultan Selim (dem Enkel des Konstantinopel-Erobereres Mehmed von 1453). Nicht nur die ständigen Intrigen zwischen den Halbbrüdern Selim, Ahmed und Korkud um die Nachfolge ihres Vaters Bayezid auf den Sultansthron von Istanbul nehmen breiten Raum in dem 510-seitigen Werk ein. Überraschend ausführlich widmet sich Mikhail ebenfalls dem genuesischen Entdecker Christoph Kolumbus und dessen Motivation sowie Folgen seines verhängnisvollen Segelabenteuers Richtung Westen, womit er 1492 durch seine Anlandung auf den Bahamas Weltgeschichte schrieb.

Kolumbus habe sich weniger als Entdecker, sondern vielmehr als Soldat Gottes im Dienste der spanischen Krone verstanden. (Königin Isabella von Kastilien finanzierte sein Unternehmen.) Sein Soldatentum habe er in erster Linie auf seine glühende Gegnerschaft gegenüber dem Islam (insbesondere osmanischer Prägung) verstanden: Durch die zunehmende Vorherrschaft der Osmanen über große Teile des Mittelmeers (u.a. Einnahme des italienischen Otranto 1480, wenngleich nur für ein Jahr!) habe sich Kolumbus erst dazu gedrängt gesehen, den Seeweg nach Westen anzutreten. Jedoch sei es ihm weniger um die lukrative Welt der Gewürze Indiens gegangen, sondern darum, auf westlicher Route die Osmanen einzukesseln und sich mit dem laut Marco Polo dem Christentum aufgeschlossenen mongolischen Großkhan gegen diese zu verbünden.

Mikhail benennt in diesem Zusammenhang das neunte Kapitel seines Buches mit „Christlicher Dschihad“.

Ebenfalls nicht unerwähnt bleibt die relative Toleranz des osmanischen Islams in Anbetracht der gnadenlosen Muslim- und Judenverfolgung nach dem Abschluss der Reconquista (christliche Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Muslimen 1492). Zehntausende vertriebener Sepharden (spanischer Juden) seien in Städten aufgenommen worden, die zum Herrschaftsgebiet der Osmanen gehörten. Auf diese Weise sei das (heute griechische) Thessaloniki zur größten jüdischen Stadt der damaligen Zeit avanciert.

Generell habe der Islam der Sultane und Kalifen der Umbruchszeit zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit eher auf Integration nicht-muslimischer Reichsbürger gesetzt, zumal Muslime noch eine Minderheitsreligion ausgemacht hätten. Größeres Konfliktpotential habe für Selim (in seiner Zeit als Gouverneur von Trabzon, also noch vor der Thronbesteigung als Sultan) die aufkommende innermuslimische Konkurrenz seitens des schiitischen Safawidenreichs im Osten der osmanischen Einflusssphäre (= Persien/Iran) innegehabt.

Alles in allem ein für Geschichtsfans immer wieder Aha-Momente bereithaltendes Werk, das u.a. zeigt, wie sich das Verhältnis zu Toleranz und Gewalt religiöser Herrschaftssysteme im Laufe der Jahrhunderte wandeln kann.

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