Wendlands wohltuender Widerspruch – zur Debatte um die Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke

In Zeiten, in denen Fragen nach der Zukunft der Energieversorgung Deutschlands (mit oder ohne russisches Gas, mit oder ohne Kernkraft etc.) dringender denn je einer verlässlichen Antwort harren, kommt ein Buch gerade recht:

Verfasst hat „Atomkraft? Ja bitte! Klimawandel und Energiekrise: Wie Kernkraft uns jetzt retten kann“ die ehemalige Grüne und AKW-Gegnerin Anna Veronika Wendland. Als eine der ganz wenigen Ökofundamentalisten beschloss sie tatsächlich, sich nicht nur mit der Kampfpropaganda aus der eigenen Filter Bubble zu begnügen, sondern sozusagen das „Herz der Bestie“ zu erkunden. Kurz: Wendland wurde Osteuropa- und Technikhistorikerin und arbeitete insbesondere in den beiden AKWs Privne (Ukraine) und Grohnde (Deutschland), was sie gewissermaßen vom Paulus (der Anti-Atom-Kirche) zum Saulus werden ließ.

Und wie auch in religiösen Belangen zeigt sie auch hier, wie relevant die Kluft zwischen Wissen und Nichtwissen (sprich: Propaganda) häufig ausfällt. Wendland schreibt:

Ich lernte in den Kernkraftwerken zweierlei Dinge: Erstens begann ich zu ermessen, wie riesig der Raum meines Nichtwissens als Atomgegnerin gewesen war. Ich hatte diesen Raum größtenteils mit der kritischen Literatur und den Broschüren der Atomgegner gefüllt – zu den Unterlagen der Gegenseite hatte ich als Schülerin und Studentin keinen Zugang. Es gab aber auch ganze Wissenskontinente, von denen ich gar nichts hatte wissen können, selbst wenn ich gewollt hätte – weil die Betreiber unserer Anlagen nicht sehr viel unternahmen, um es den Menschen zu vermitteln. Ich vermute, dass viel von der Atomangst in unserem Lande auf diesen blockierten Wissenspfad zurückzuführen ist. (S. 54)

Mehrfach beklagt Wendland in ihrem Buch das eklatante Versäumnis von Anlagenbetreibern und kernphysikalischen Fakultäten, die Öffentlichkeitsarbeit sträflich vernachlässigt zu haben. Das freie Vakuum wurde – und das seit Jahrzehnten! – bereitwillig von Öko-Ideologen wie Bündnis 90/Die Grünen, Greenpeace & Co. gefüllt – nicht zuletzt dank willfähriger Steigbügelhalter in den tendenziell linksgrün ausgerichteten Massenmedien.

Erfrischend unideologisch sieht Wendland übrigens das Thema „Erneuerbare Energien“. Statt hier in typisch-westlicher Manier eine unversöhnliche Dichotomie aufzumachen („entweder – oder“), plädiert sie für ein versöhnliches Nebeneinander von Kernkraft, Wind, Wasser und Sonne.

Nicht ohne jedoch auf den immensen Ressourcenfraß Letztgenannter hinzuweisen. Und hier zeigt sich einmal mehr, in welcher illusorischen Traumtänzerwelt wir durch interessierte linksgrüne Kreise jahrzehntelang gehalten wurden – von Wegen „Sonne und Wind schicken uns keine Rechnung“ (sinngemäß nach Franz Alt).

Oder wussten Sie, liebe Leser, dass die Turbine einer Offshore-Windkraftanlage sage und schreibe 67 Tonnen (!) Kupfer enthält?

Wendland verweist hier auf einen hervorragend recherchierten SPIEGEL-Artikel („Raubbau im Namen der Umwelt“, Ausgabe 44 vom 30.10. 2021 – online hinter Bezahlschranke, liegt dem Verfasser jedoch im Printformat vor), ergänzt dessen Fakten mit weiteren selbst zusammengetragenen.

So schreibt sie etwa, dass als Äquivalent der 12 Milliarden (!) kwh Strom, die das hiesige AKW Isar-2 pro Jahr ins Netz speist, stattliche 1095 Onshore-Windräder errichtet werden müssten (deren Arbeitsverfügbarkeit sie mit 25 %, d.h. ein Viertel des Tages ansetzt).

Selbstverständlich geht die Autorin auch auf immer wiederkehrende Aspekte wie der Frage nach der ewigen Endlagersuche sowie den beiden „großen“ Störfällen Tschernobyl und Fukushima ein, macht glaubwürdig deutlich, dass deutsche kerntechnische Anlagen inhärent deutlich sicherer seien und dank der sog. vierten Generation AKWs (Natrium-, Flüssigsalz- und Dual-Fluid-Reaktoren) ein zusätzliches Plus an Sicherheit zu erwarten sei.

Allerdings kommen die Hintergründe des Unfalls von Tschernobyl doch ein wenig kurz – verglichen mit der Darstellung von Krämer/Mackenthun in „Die Panik-Macher“, wo der experimentelle Charakter der Geschehnisse des 28. April 1986 herausgearbeitet wird und der fundamentale Unterschied zu deutschen AKWs noch etwas klarer zum Ausdruck kommt.

Doch sei´s drum: Wendlands Buch kommt nach der russichen Invasion der Ukraine und der dadurch verschärft zu Tage getretenen gesellschaftlichen Debatte um die Zukunft der Energieversorgung genau zum richtigen Zeitpunkt.

Bleibt noch, abschließend auf die dankenswerterweise vom Magazin CICERO zusammengestellte Übersicht zu diversen Fragen der Laufzeitverlängerung der verbleibenden drei deutschen AKWs hinzuweisen.

Möge diese sowie Wendlands Buch unsere hochverehrten Damen und Herren Politik Betreibenden 😉 dazu bewegen, ausnahmsweise einmal qualitativ hochwertiges Schriftgut statt ideologisch „verstrahlter“ Agit Prop in die Hand zu nehmen!

Nachtrag 07.08.22:

Wer sich nicht gleich Wendlands Buch zulegen möchte, kann eine Kurzfassung ihrer Positionen auch im aktuellen CICERO-Podcast nachhören!

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