Zeitenwende à la Scholz oder: Die Visionslosigkeit der Merkelampelianer

Was hatte Bundeskanzler Scholz doch unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 22. Februar 2022 nicht alles angekündigt: Die berühmte „Zeitenwende“ sollte erfolgen, die Bundeswehr mal eben mit (überfälligen) 100 Milliarden Euro auf Vordermänn*in gebracht werden. Die Solidarität mit dem angegriffenen Staat nahm in der Folgezeit Gott sei Dank über die phänomenalen 5000 Stahlhelme hinaus Fahrt auf, welche Herrn Selenskyj von der GröVaZ (Größte Verteidigungsministerin aller Zeiten) Christine Lambrecht anfangs versprochen worden waren.

Doch in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine – insbesondere hinsichtlich der Leopard2-Panzer – handelte die Regierung lange allenfalls zögerlich – mit der fatalen Konsequenz, dass die russischen Invasoren in aller Seelenruhe ihre Stellungen befestigen und ausbauen konnten, so dass die aktuelle ukrainische Gegenoffensive nur äußerst dürftige Geländegewinne zu verzeichnen hat.

Nach über 500 Tagen Krieg erscheint das forsche Sprechen von einer „Zeitenwende“ im Sinne Scholz‘ somit vollmundig, um nicht zu sagen verfehlt. Wie die Bewertung nach dem Krieg in einigen Jahren ausfallen wird, vermag natürlich niemand zu wissen. Fest steht aber: Das Jahr, welches in der Tat den Begriff „Zeitenwende“ verdient – und dies nicht nur als hohle Phrase aktueller Politik ohne jegliche Visionen – ist das Jahr 1979. Ein Grund also für den Historiker Frank Bösch, diesem Zeitabschnitt ein komplettes Buch zu widmen – ein Werk, das es in sich hat. Wir erinnern uns (sofern wir damals bereits geboren bzw. in einem Alter waren, in dem man sich für Politik/Zeitgeschehen interessierte; der Autor dieser Zeilen war 1979 gerade einmal im zarten Kindergartenalter):

Mit Khomeinis Rückkehr aus dem Pariser Exil begann 1979 die „Islamische Revolution“ in Iran mit ihren mehr als unheilvollen Auswirkungen auf die Region, ja die ganze Welt bis zum heutigen Tag. Im selben Jahr ließ sich jedoch auch mit dem Besuch des frisch gewählten Papstes Johannes Paul II. in seiner Heimat Polen bereits der Anfang vom Ende des Staatssozialismus erhaschen. Etwa zeitgleich stürzte im fernen Nicaragua der von den USA protegierte Diktator Somoza zugunsten einer sandinistischen (ergo: linken) Regierung, was die romantischen Träume eines soften Sozialismus jenseits von Mauer und Schießbefehl in zahlreiche (nicht zuletzt) bundesdeutsche Wohngemeinschaften trug.

Am anderen Ende der Welt ereignete sich mit den sog. „Boat people“ vor der Küste Vietnams eine weitere Tragödie, die jedoch durch die engagierte Hilfe von Rupert Neudeck und „seinem“ Rettungsschiff, der „Cap Anamur“, ein glimpfliches Ende fand: Viele Tausend Vietnamesen konnten so vor dem Zugriff des kommunistischen Regimes in ihrer Heimat entfliehen und insbesondere in der Bundesrepublik ein neues Zuhause finde.

Ebenfalls 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, während die neue chinesische Führung unter Deng Xiaoping nach dem Tod Maos drei Jahre zuvor die wirtschaftlichen und kulturelle Öffnung des Landes in Angriff nahm.

Allein die Fülle obiger Ereignisse mit ihren Jahre bis Jahrzehnte nachhallenden Spätwirkungen lässt erahnen, dass die leichtfertige Rede von einer „Zeitenwende“ à la Scholz höchstwahrscheinlich unangemessen ist, suggeriert sie doch weltpolitisch nachhaltige Strahlkraft deutscher Politik weit jenseits des Tagesgeschehens.

Aber der kritische Beobachter des politischen Geschehens ist dies mittlerweile hinlänglich gewohnt: Wurschtelt die Politik sich wieder mal durch bzw. betreibt hauptsächlich Symbolpolitik (siehe Regenbogenfahnen vor Regierungsgebäuden etc.), darf das zugehörige Neusprech nicht fehlen. Da hat Herr Scholz von seiner Vorgängerin („Wir schaffen das!“) lange genug Gelegenheit gehabt, ordentlich Nachhilfestunden zu nehmen.

Nur machen wohlklingende Worte aus einem Regierungs-Esel eben noch lange kein Rennpferd! Wohl dem Esel, wenn er als willkommene Projektionsfläche für seine Lahmarschigkeit das „Maultier auf Speed“ (ergo: die AfD) ausmachen kann, dem sämtliche Fehlleistungen des eigenen Regierungshandelns in die Schuhe geschoben werden können. Das Leben kann so einfach sein…

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