Geklonte Religionsroboter mit werkseitig eingebauter Kritiksperre? Eine islamkritische Lesung und die Reaktionen darauf

Viel zu selten kommt es einmal vor, dass an „meiner“ Schule eine Autorenlesung stattfindet. Und so war ich erfreut, als ich mitbekam, dass sich eine Kollegin dafür engagierte, um allen acht neuen elften Klassen unseres Beruflichen Gymnasiums Mitte Oktober die bosnischstämmige Schriftstellerin Safeta Obhodjas präsentieren zu können.

Die Autorin lebt seit 1992 in Deutschland, nachdem sie vor der Gewalt des Krieges in ihrer Heimat Bosnien geflohen war. In ihren Texten nimmt sie erfreulicherweise kein Blatt vor den Mund und kritisiert – angereichert durch biografische Erlebnisse – ein patriarchalisch-orthodoxes Islamverständnis, wie es sich bekanntlich auch dank weitgehender politischer Untätigkeit – um nicht zu sagen: engagierter Förderung – auch hierzulande munter entfalten konnte; diverse ultrakonservative bis reaktionäre Moscheeverbände wie die türkische DITIB zeugen davon.

Obhodjas las an der Schule u.a. aus ihrer Novelle „Funken aus einem toten Meer“ sowie ihre Kurzgeschichte „Alles gute Muslime“ (scrollen bis zum Eintrag vom 31.03.2021), die ich mit zwei elften Klassen auch zuvor im Deutschunterricht behandelt hatte und die den Aspekt der religiösen Heuchelei im bosnisch-muslimischen Kontext ihrer eigenen Kindheit und Jugend thematisiert.

Die Reaktionen einiger muslimischer Schülerinnen und Schüler waren dann doch erschreckend.

So sah sich die Autorin dem Vorwurf ausgesetzt, sie würde „gegen den Islam hetzen“. Eine andere Fragerin hakte nach, ob die Autorin in ihren Texten aussagen wolle, dass „die (islamische) Religion perfekt sei, nur die Menschen, die sie lebten, nicht“ – ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Aussage der Kurzgeschichte von der Fragestellerin nicht erfasst wurde.

Leider vermittelte Obhodjas trotz ihrer expliziten Aufforderung dazu, im Anschluss an die Lesung Fragen zu stellen, eher den Eindruck, dass sie mit den dann einsetzenden Statements nicht sehr souverän umgehen konnte und einige Fragen eher abwimmeln wollte.

Möglicherweise spielte hier allerdings auch die deutsche Sprache eine etwas hinderliche Rolle – die Autorin spricht mit vernehmlichem Akzent.

Für mich war das Verhalten einiger Schüler nach der Lesung einmal mehr ein Beleg dafür waren, in welch fundamentalistischer Abkapselung viele muslimische Eltern ihren Kindern ein Religionsverständnis überstülpen, das als wirklich problematisch bezeichnet werden muss, da gerade die häufig zu Recht kritisierten Punkte wie die Stellung des Propheten Mohammed zur Gewalt oder das religiös begründete Verhältnis der Geschlechter in der religiösen Erziehung vieler Kinder muslimischer Eltern ausgeklammert bzw. ideologisch glorifiziert zu werden scheinen.

In den Worten des Freiburger Religionspädagogen Abdel-Hakim Ourghi:

Das Problem des Extremismus wird jedenfalls nicht gelöst, wenn man behauptet, dass es nicht zum Islam gehört. Muslime, gerade auch hier bei uns in Europa und in den anderen westlichen Kulturen weichen diesen Problemen zu schnell aus. Sie wollen nur ungern darüber sprechen und betonen stattdessen nur den ethischen Aspekt des Islam. Das ist im Prinzip natürlich richtig. Mit Blick auf den Koran reicht es aber nicht aus, über Toleranz, Barmherzigkeit und Liebe im Koran zu sprechen, auch wenn sie dort ganz wichtig und fundamental sind. Wir müssen auch die unangenehmen Aspekte in den kanonischen Quellen kritisieren, um das Klima für eine angemessene Interpretation des Islam zu schaffen. Es geht darum, den Koran als Text zu historisieren, ihn in der damaligen Situation zu verstehen, dann aber auch mit Blick auf heute mit diesem Wissen kritisch umzugehen. Man muss die Koranpassagen, die zur Gewalt aufrufen, erst einmal geschichtlich verorten, sie reflektieren und sich mit der Frage beschäftigen, wie man die daraus erwachsenden Schwierigkeiten lösen kann. Es ist eine zentrale Aufgabe, in einer Kultur des Dialoges auch über sich selbst und seine eigene Geschichte nachzudenken. Das ist dann gerade nicht gegen den Islam gerichtet, sondern eine unabdingbare Vorrausetzung für eine zeitgenössische Reformlektüre jenseits politischer Interessen.

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